Salzburger Stier: Eine Spurensuche von Thomas C. Breuer
1982 traf man sich erstmals im Salzburger Landestheater am Makartplatz, gleich neben irgendwas mit Mozart. Acht Zimmer soll er dort bewohnt haben, bis er 1781 ohne Ablösesumme nach Wien wechselte. Salzburger Stier tönt natürlich griffig, man stelle sich vor, die Idee dazu wäre in Rheda-Wiedenbrück oder Killwangen-Spreitenbach entstanden. Das Tier, also Stier, war von vorneherein klar: Wenn man Bayern, Schweizer und Südtiroler mit ins Boot holen wollte, musste ein Hornvieh her, drunter machen die es nicht.
Die Kuh hat schon immer den Schweizer Forschergeist inspiriert: So wurde im Kan-ton Uri eine Viehseilbahn für die Hochalm Alplen konstruiert, weil der Weg verschüttet war. Die Tiere wurden einfach nach oben gegondelt. Andererseits können menschliche Eingriffe fatal enden: Im Munital mussten circa zwanzig Zuchtstiere wegen totaler Erschöpfung notgeschlachtet werden, als durch einen Stromausfall die örtliche Samenbank lahmgelegt wurde und die Stiere die Besamungen in echt vornehmen mussten. Solchen Strapazen zeigten sich die Tiere nicht gewachsen. Dennoch darf ein positives Fazit gezogen werden: Die Schweiz ist das Indien Europas, wo die heilige Kuh noch die Kuh selbst ist – dies gilt sowohl für Gewohnheit-Stiere als auch Gletscherkälber.
Die ersten Stiere 1982 erhielten für Österreich Gerald Fratt und Christian Schacherreiter, für die Schweiz Joachim Rittmeyer, der 39 Jahre später noch einen Ehrenstier bekommen hat. Den deutschen Preisträger verrate ich Ihnen nicht, der ist heuer eher im rechten Spektrum daheim und damit möchte ich mir meinen Abend nicht versauen.
Aber wieso musste es ein Stier sein und keine Kuh, oder ein Kälbchen? Dies hat sicher historische Gründe, für die wir uns ins 1525er Jahr begeben müssen. Im gesamten süddeutschen Sprachraum protestierten Bauern gegen die gestiegenen Abgaben und gingen auf die Barrikaden. Kommt einem irgendwie bekannt vor, aber Treckerkorsos gab es damals noch nicht. Auch vor der Festung Hohensalzburg bezogen die Aufständischen Stellung – die Festung bitte nicht verwechseln mit Hitlers Mountain Resort Obersalzberg, der ist nämlich bei Berchtesgaden, eine halbe Stunde mit dem Auto, und nach Braunau sind es auch nur 65 Kilometer. Vierzehn Wochen lang belagerten die Bauernburschen den Salzburger Landesfürsten. Doch die Burg schien uneinnehmbar, weshalb die Belagerer versuchten, die Stadt vom Lebensmittelnachschub abzuschneiden und auszuhungern.
Eines Tages aber waren in Salzburg alle Vorräte aufgebraucht – bis auf einen einzigen braun gefleckten Stier. Da verfiel der Stadtkommandant auf eine List: Am Morgen des nächsten Tages trieb man den Bullen auf die Festungsmauer und präsentierte ihn dem Feind. In der folgenden Nacht malten die Salzburger den gescheckten Stier weiß an und führten ihn erneut den Belagerern vor. Am dritten Morgen trabte ein pechschwarzer Stier über die Festungsmauer. Die aufständischen Bauern waren irritiert: Offensichtlich verfügte Salzburg unverändert über ausreichende Lebensmittelreserven, was die Belagerung ihrer Meinung nach obsolet machte. So zogen in dunkler Nacht die Kriegsknechte heimlich ab.
Die Bürger führten den Stier an die Salzach und wuschen ihn so lange, bis er wieder sein schönes braun geflecktes Fell zurückhatte. Der Fluss war bis nach Oberndorf hinauf mit Seifenschaum bedeckt. Seit dieser Zeit werden die Salzburger „Stierwascher” genannt.
Der Salzburger Stier aber ist zugleich eines der letzten erhaltenen spätgotischen Hornwerke der Welt und befindet sich auf der Festung Hohensalzburg. Es ist das älteste mechanische Musikinstrument, das regelmäßig gespielt wird. Fürsterzbischof Leonhard von Keutschach gab das Hornwerk 1502 in Auftrag. Der F-Dur-Dreiklang ähnelte dem Brüllen eines Stiers.
Ein Salzburger Stier – von wegen Alleinstellungsmerkmal – findet sich auch im Hallenfussball, als Turnier. Der Salzburger Stier ist natürlich auch ein „Bull“, zum Glück aber„black“.
Wie haben wir uns die erste Preisverleihung eigentlich vorzustellen – ist die Veranstaltung überhaupt wahrgenommen worden? Kleinkunst in einer Kapitale der Großkunst? Sind die kleinen Künstler nicht samt und sonders in der ganzen Promidichte abgesoffen? Was war damals überhaupt los, 1982? Ein Österreicher dominiert die internationalen Hitparaden: Falco mit „Der Kommissar“. Ein Plakat des FDGB zum 1. Mai schwadroniert: „Alles für das Wohl des Volkes und den Frieden“ – da waren es nur noch sieben Jahre bis zum Mauerfall. Der beliebteste Film: „Buddy fängt nur große Fische“. Am 2. Mai der Große Preis von Österreich für Motorräder auf dem Salzburgring. Zwei Tage später brennt das Matrashaus auf dem Hochkönig ab bis auf die Grundmauern. Ob da Zusammenhänge bestehen? Der „Jedermann“ 1982: Maximilian Schell in der Hauptrolle, Will Quadflieg als Gott, Senta Berger als Buhlschaft. 1982 hat James Levine die Zauberflöte dirigiert. Wer weiß denn so was?
Zeit für ein paar Albernheiten: Mit Hörnern habe ich zum Glück nichts am Hut, da müsste ich ja an den Satan glauben. Oder an den Stier. Deshalb habe ich mich bei führenden Hornitologen kundig gemacht. Achtung, Metapherntsunami: Jemanden aufs Horn nehmen – oder heißt das Korn? Jemanden aufspießen – da ist es ja zum Spießer nicht mehr so weit. Die Hörner abstoßen oder jemandem aufsetzen– was genau bedeutet eigentlich „horny“ (horny soit qui mal y pense)?
Weitere Stierassoziationen: Das berüchtigte „rote Tuch“ – könnte bald schon die Stadtfahne Salzburgs sein, falls die KPÖplus die Bürgermeisterwahl gewinnt. Stier im Schweizerdeutschen: Streng. Mit stierem Blick? Die älteren Deutschen kennen aus der Schweiz vielleicht noch die Frau Stiernimaa. Vor allem Schweizer haben eine ausgeprägte Hornfixierung: Das Alphorn und die ganzen Hornisten. Das Matterhorn. Hornussen. Wir Deutsche können höchstens Hornbach anbieten. Die Mitgliedsländer der AUDS – der Arbeitsgemeinschaft für Unterhaltung der deutsch-sprachigen Sender, die für die Vergabe des Salzburger Stiers verantwortlich zeichnet – verfügt weder über Toreros noch über Matadoren, und eine Arena haben maximal die Schweizer freitagsabends im Fernsehen.
Jenseits der Society, der Promis und Adabeis, der Braunen und Gebräunten gibt es auch ein anderes Salzburg: 1982 ebbte die sog. „Salzburger Bürgerrevolte“ ab: Eine Bürgerinitiative hatte sich für den Erhalt alter Bürgerhäuser und die Rettung der letzten Stadtlandschaften eingesetzt, ein zähes Ringen um eine lebenswerte, nicht autogerechte Stadt. Wo hat man das nur schon einmal gehört? Landeshauptmann damals: Wilfried Haslauer, Wilfried der I. Seit 2013 regiert der Junior gleichen Namens, nur eben der Zweite, der entgegen anderslautenden Ankündigungen mit der FPÖ in Koalition gegangen ist. Nochmals 1982: In Berlin erscheint der Ersttagsbrief „Salzburger Emigranten in Preußen“ – vor 250 Jahren haben Protestanten zuhauf das Salzburger Land verlassen. Heuer treten bei der Bürgermeisterwahl ein Sozi und ein Kommunist an.
Man muss sich doch fragen, warum die Wahl damals ausgerechnet auf Salzburg gefallen ist. Vielleicht war die Redewendung „die Suppe versalzen“ Impulsgeber, bevorzugt im Gespann mit „denen da oben“. Leider weiß das niemand mehr, das ist 42 Jahre her, da waren die meisten von Ihnen noch gar nicht auf der Welt, und im Tiefparterre des ORF sind keine Unterlagen aufzutreiben. Ob der Stier zu Salzburg passt? Eher nicht. Fragt sich, was die Fehlbesetzung ist: Die Stadt oder die Kleinkunst? Immerhin gibt es in der Kaigasse eine Buchhandlung Stierle, wo sicher auch die Bücher eines der bekanntesten Autoren verkauft werden, der immer wieder Schnittstellen mit dem Kabarett hat, z.B.mit dem Hader Josef: Wolf Haas aus dem nahen Pinzgau.
Einer der Slogans, mit denen die Stadt sich vermarktet: „Die Bühne der Welt“. Kleinkunst ist mir bei zahllosen Rundgängen durch die Stadt nicht aufgefallen, ausser einer Stelltafel, die für drei Auftritte von Kabarettisten warb, in einem Veranstaltungslokal namens ARGE – der aber eher ein Kultur-Gemischtwarenladen ist. Ähnlich verhält es sich mit der Oval-Bühne im Europapark. Dazu wird gelegentlich Kabarett im Kleinen Theater angeboten, mit der Betonung auf Theater. Immerhin, auf dem Spielplan des Kleinen Theaters taucht mein Mit-Stier Christof Spörk auf.
Der Salzburger Stier war der einzige Preis, den ich je im Leben haben wollte.
Was die Person, die weiland den Begriff Kleinkunst aus dem Handwerk ins Kulturleben entführt hat, damit ausdrücken wollte, werden wir niemals erfahren, selbst Wikipedia ist das nicht gelungen. War es abwertend gemeint, vielleicht gar pejorativ? Oder liebevoll über den Schädel tätschelnd, was ja auch von oben herab geschieht. Oder einfach nur erbsenzählerisch, um mal eben Ordnung zu schaffen und der Unterhaltung ihren verdienten Platz zuzuweisen? Tatsächlich geht die Einstufung „klein“ nicht völlig am Thema vorbei, gilt es doch, den ganzen Kleinkram mit kleinlichen Veranstaltern zu erledigen. Kleinstbühnen, Raum ist in der kleinsten Hütte. Kleinstädte. Geringe Besucherzahlen. Zum Schluss die Gage: eine Kleinigkeit. Der Künstler lässt sich in seinen Kleinwagen fallen und fährt nach Hause. Dort ist Schmalhans Küchenmeister.
Tatsache ist, dass Kleinkunst manchmal so winzig ist, dass man sie mit bloßem Auge kaum mehr wahrnimmt. Nur Kolibrijunge sind noch kleiner, dermaßen gar, dass ihre Eltern über dem Nest eine bifokulare Kopflupe anbringen müssen, andernfalls die Fütterung gar nicht klappen würde. Allein, die Kleinkunst bietet auch Vorteile: man muss seine Rübe nicht ständig in die Kameras vernachlässigbarer Rateshows halten, um seinen Ruhm zu zementieren. Man muss sich nicht fortlaufend zusammenreissen. Man ist näher dran. Auch mit Kleinkunst kann man zum geistigen und moralischen Verfall des Abendlandes beitragen. Weder kleinkalibrig noch kleinlaut, weder kleinmütig noch minimal. Selbst im feschen Salzburg.
© Thomas C. Breuer Rottweil 21.03.2024 Salzburg